Love-Scamming

Heute berichte ich über Love- oder Romance-Scamming. Der Begriff mag neu sein, die Masche hingegen ist von altersher als Heiratsschwindel bekannt.

Berichten möchte ich hier von meinen Afrika-basierten Erfahrungen mit Love-Scamming.  Doch das Phänomen ist weltweit verbreitet. Vermutlich ist es eine der erfolgreichsten Betrugsmaschen überhaupt, ist doch ein hohes Maß allzu menschlicher Emotionen im Spiel, denen der Verstand zunächst einmal wenig entgegensetzen kann und will. Dennoch hört oder liest man sehr, sehr wenig Erfahrungsberichte darüber. Denn mit der bitteren Erkenntnis geht oft eine große Scham einher, die verstummen lässt.

Wie also funktioniert Love- oder Romance-Scamming? – Der Anfang allen Scammings ist immer gleich: Jemand hat Kontakt zu mir bekommen und will sie in betrügerischer Absicht nutzen. Das funktioniert sowohl im Internet als auch z.B. am Urlaubsort. Denn eine Freundschaftsanfrage oder Chateinladung ist doch etwas Schönes, auf das frau und man sich gern einlässt. Ebenso wie auf eine sehr aufmerksame, bevorzugte Behandlung z.B. am Strand. Als Frau spricht mich „natürlich“ ein Mann an. Und der appelliert nicht an meine Hilfsbereitschaft, sondern baut systematisch auf die Bedürfnisse meiner Seele, die Liebe braucht, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Er hat eine tolle Ausstrahlung, eine interessante Lebensgeschichte, aus der sich viel erzählen lässt, und immer eine gute Idee, was man gemeinsam erleben könne. Schnell macht sich meine neue Bekanntschaft unverzichtbar. Gerade, weil Gambias Menschen prinzipiell sehr herzlich und zugänglich sind, alle miteinander verwandt zu sein scheinen, sich alle mit Vornamen ansprechen und selbst die Respektbezeichnungen familiär klingen, kommt hier Argwohn recht spät zum Zuge.

Bei mir war es übrigens ein Verwandter aus dem afrikanischen Familienzweig, dem ich meine erste Erfahrung mit Love-Scamming zu verdanken habe. Nachdem er mich geduldig und aufmerksam im Urlaub begleitet, mir viele Erlebnisse jenseits des Tourismusbetriebes ermöglicht hatte und ich ihm aufgrund der Verwandtschaft sehr vertraute, räumte er mit der kurzzeitig bei ihm geparkten Kreditkarte mein Konto ab… Was ich von ihm nicht bekommen habe, aber was mir  im Laufe von fünf Jahren von immerhin zwei Freundinnen berichtet wurde, sind diese umfangreichen Liebesschwüre, morgens in einer SMS beim Aufwachen, mittags bei einem lustigem Foto in der Pause und abends in langen Emails, Chats oder Telefonaten und beim Schlafengehen endend mit einem heißen Kuss. Beide Freundinnen – lebenskluge, gestandene Frauen, übrigens – fühlten sich schon nach kurzer Zeit wie im Himmel, geliebt, akzeptiert, gesehen, gehört, wertgeschätzt. Sogar Treffen im richtigen Leben wurden geplant: Eine bereitete Urlaub in Südafrika vor und die andere in Großbritannien. Doch dann kamen verrückte Zufälle dazwischen, in Südafrika ging ein LKW zu Bruch und die ganze Ladung wurde gestohlen, in Nigeria konnten die Visumkosten nicht beglichen werden, da die Mutter schwer erkrankte. Beide Freundinnen schickten Geld. Da die Erlebnisse zeitversetzt stattfanden, konnte die eine Freundin von den Erfahrungen der anderen profitieren und verlor daher wesentlich weniger, nämlich nur knappe 2.000 Euro statt fast 50.000 €.

Wenn man das so liest, scheint es unglaublich, oder? Dass ein vernünftiger Mensch Unbekannten so viel Geld zukommen lässt, ohne je Aug‘ in Aug‘ gegenüber gestanden zu haben? Und doch geschieht es immer und immer wieder. Armen und reichen Menschen, klugen und naiven, alten und jungen. Diese Muster zählen nicht. Nur das Maß, der Liebe zählt, die frau/ man im eigenen Leben vermisst und ersehnt. Je mehr Sehnsucht, desto höher der emotionale und finanzielle Schaden.  Frau/man muss wirklich schon in einer  sehr gefestigten, glücklichen Beziehung gebunden sein, um auf Love-Scamming nicht anzuspringen.

Der miesesten Versuch, der mir je begegnet ist, war übrigens nicht über das Internet, sondern spielte sich in Gambia während eines längeren Aufenthaltes ab: Ein unzufriedener alter Schulfreund meines Mannes, der jahrelang Geldzuwendungen erhalten hatte, überredete einen jungen Verwandten, sich an unsere Fersen zu heften. Sich unverzichtbar zu machen bis zu dem Punkt, an dem er meinem Mann und mir geschäftliche Deals vorschlagen konnte. Schon allein, weil ich sprachlich, kulturell und freundschaftlich nicht so involviert war wie mein Mann, sondern viel auf Beobachtung zurückgeworfen, sprach ich mich gegen eine Beteiligung aus. Sehr zum Unmut des alten Schulfreundes, der im Hintergrund seinen Verwandten steuerte. Dann erkrankte meine Schwiegermutter schwer und mein Mann wachte an ihrem Krankenhausbett. Sein Schulfreund überzeugte ihn, mich mit dem jungen Verwandten noch nachts loszuschicken, um geeignetes Essen zu besorgen, da ich die einzige sei, die unser Auto fahren könne. Kaum losgefahren, begann der junge Kerl tatsächlich ein sehr privates Gespräch voller Liebesschwüre. Im Krankenhaus tat er meinem Mann gegenüber ganz harmlos, aber auf dem Rückweg ging es weiter. In den darauffolgenden Tagen wurde in der Familie die hämische Frage breitgetreten, was wohl im Auto zwischen uns vorgefallen sein könnte, der junge Mann sei ja so verändert. Es hat schon einige bittere Wochen gedauert, bis mein Mann hinter den Verursacher und seine Beweggründe kam. Wäre unsere Beziehung nicht so fest gewesen, wäre sie zerbrochen und mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit wäre ich einem Scammer aufgesessen.

Warum erzähle ich das so ausführlich? Weil ich daran glaube, dass jedes Ereignis mit unerwünschtem Ausgang zunächst einmal ein Lerngeschenk ist. Nur wenn wir nichts lernen wollen, wird beim nächsten Mal ein Fehler daraus. Wenn ich also von meinen Erfahrungen berichte, so haben andere die Chance, mit mir zu lernen und schmerzhafte Fehler zu vermeiden.

Scammer lassen sich übrigens – nicht immer, aber doch schon oft – im Internet entlarven. Es gibt spezialisierte Webseiten, auf denen man verwendete Fotos, Adressen und Telefonnummern findet, die von Geschädigten hochgeladen wurden. Einfach den Namen und das Stichwort Scamming in die Suchmaschine eingeben. Fotos lassen sich durch Bildersuche finden. – Auch wenn das Geld unwiederbringlich verloren ist und schlimme emotionale Zustände nicht ungeschehen gemacht werden können: eine Anzeige bei der Polizei hilft. Denn jede Anzeige beleuchtet dieses Dunkelfeld und bringt einen Kieselstein zum nächsten, bis ein unübersehbarer Berg entstanden ist und man/frau sich nicht mehr allein, dumm und als Opfer fühlt. Und: Reden hilft. Z.B. über dieses dumme Bauchgefühl, das sich nach einiger Zeit einschleicht.


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